Wenn die digitale Welt auf echte Begegnung trifft: Was ich in der Seniorenbetreuung über Menschen lerne

27.10.2025

Warum eine Digitalmarketing-Spezialistin plötzlich Senioren betreut – und was das mit besserer Kundenbetreuung zu tun hat

Ich sitze normalerweise vor dem Bildschirm. Mache Webseiten, kümmere mich um Emailmarketing, berate Kunden zu ihrer digitalen Präsenz. Alles digital, alles schnell, alles messbar. Seit diesem Monat mache ich etwas komplett anderes: Ich leite ehrenamtlich eine Betreuungsgruppe für Senioren mit. Und was auf den ersten Blick wie zwei völlig getrennte Welten aussieht, hat mir eine der wichtigsten Lektionen für meine Selbständigkeit gelehrt.

Dieser Beitrag erzählt von einem ungewöhnlichen Perspektivwechsel – und davon, warum echte Begegnung in beiden Welten das Wichtigste ist.

Der Anfang: Als meine Eltern älter wurden

Meine Eltern werden älter. Das ist eine Tatsache, die sich in mein Leben eingeschlichen hat. Mehr Hilfe hier, mehr Unterstützung dort. Plötzlich waren da Gespräche über Dinge, die man früher nicht geführt hat. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Über das Älterwerden, über Einsamkeit, über das, was wirklich zählt. Und darüber, wie ich vielleicht etwas beitragen könnte.

So bin ich zur Betreuungsgruppe gekommen. Seit diesem Monat bin ich an zwei Tagen im Monat dabei, manchmal springe ich zusätzlich ein, wenn Not am Mann ist. Die Gruppe trifft sich jede Woche mit bis zu neun Teilnehmern.

Was wir machen: Struktur, Gemeinschaft und ein bisschen Abwechslung

Die Betreuungsgruppe folgt einem festen Ablauf, der den Teilnehmern Struktur und Sicherheit gibt:

  • Wir starten mit ein bisschen Gymnastik im Sitzen
  • Danach gibt es ein festes Thema mit Rätseln, Fragen und Gesprächen
  • Am Ende wird noch gespielt
  • Alle bekommen ein Mittagessen

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Die Teilnehmer haben unterschiedliche Einschränkungen: Manche sehen schlecht, andere hören kaum noch, wieder andere sind motorisch eingeschränkt. Keiner ist dement, aber alle brauchen auf ihre Weise Unterstützung.

Die Gruppe wird sehr gut angenommen. Auch wenn nicht immer viel Dialog zwischen den Teilnehmern entsteht, sind alle glücklich, rauszukommen und Abwechslung zu haben. In ihrem oft sehr einsamen Alltag ist diese eine Stunde in der Woche ein Lichtblick.

Die Herausforderung: Wenn Worte Bilder ersetzen müssen

Eine Teilnehmerin ist blind. Das bedeutet: Während ich für die anderen Material mit extra großen Symbolen und Bildern vorbereite, muss ich für sie alles in Worte fassen. Ein einfaches Rätsel mit Bildkarten wird plötzlich zur Herausforderung. Wie beschreibe ich ein Symbol so, dass sie es sich vorstellen kann? Wie erkläre ich einen visuellen Witz, ohne dass er seine Pointe verliert?

Das klingt einfach, ist es aber nicht. Es zwingt mich dazu, präzise zu sein. Genau zu überlegen, was ich sage und wie ich es sage. Nichts kann ich einfach zeigen – alles muss durch Sprache vermittelt werden.

Die stille Bestätigung, die alles bedeutet

Ein anderer Teilnehmer sagt fast nie etwas während der Stunde. Er sitzt da, nickt manchmal, lächelt selten. Zwischendurch frage ich mich: Kommt überhaupt etwas an? Ist er gelangweilt? Überfordert?

Beim Gehen dreht er sich um und sagt leise: „Das war schön.“

Solche Momente berühren mich mehr, als ich erwartet hatte. Sie zeigen mir, dass Wirkung nicht immer laut ist. Dass nicht jeder Mensch seine Freude oder Dankbarkeit sofort zeigt. Und dass ich lernen muss, auch ohne ständiges Feedback zu arbeiten.

Raus aus der Komfortzone: Wenn Geschwindigkeit zur Stolperfalle wird

Das Programm zusammenzustellen macht mir unglaublich viel Spaß. Ich recherchiere Themen, suche Rätsel heraus, überlege mir Spiele. Das ist kreativ, das liegt mir. Aber das Durchführen? Das ist eine andere Geschichte.

Die größte Herausforderung für mich

Ich bin gewohnt, schnell zu arbeiten und Ergebnisse zu sehen. In meiner digitalen Arbeit läuft vieles effizient: Ein Klick, und die Email ist versendet. Ein paar Anpassungen, und die Webseite ist live. Feedback kommt oft unmittelbar.

In der Betreuungsgruppe muss ich warten, aushalten und Raum geben. Ich muss Menschen aktivieren, ohne übergriffig zu sein. Das Tempo drosseln, ohne dass Langeweile aufkommt. Geduldig sein, auch wenn ich innerlich schon drei Schritte weiter bin.

Das bringt mich regelmäßig aus meiner Komfortzone. Und genau das ist gut so.

Das wichtigste Learning: Menschen dort abholen, wo sie stehen

In der Betreuungsgruppe habe ich etwas gelernt, das so simpel klingt und doch so schwer umzusetzen ist:

Menschen dort abholen, wo sie gerade stehen. Nicht dort, wo ich denke, dass sie sein sollten.

Das gilt nicht nur für Senioren mit Einschränkungen. Das gilt für jeden Menschen, dem ich begegne.

Die Brücke zur digitalen Arbeit

Auch meine Kunden sind manchmal überfordert. Mit ihrer Webseite, mit Emailmarketing, mit der Frage, welche Social-Media-Plattform für sie Sinn macht. Sie wissen oft nicht, was Begriffe bedeuten, die für mich selbstverständlich sind. Sie brauchen andere Worte, andere Erklärungen, ein anderes Tempo.

Früher habe ich das unterschätzt. Ich bin davon ausgegangen, dass bestimmte digitale Grundlagen einfach klar sind. Dass man nur schnell erklären muss, wie etwas funktioniert.

Die Seniorenbetreuung hat mir gezeigt: Das reicht nicht.

Was sich in meiner Kundenbetreuung verändert hat

Ich muss langsamer werden. Genauer hinhören. Anders erklären. Manchmal muss ich drei verschiedene Wege finden, um dasselbe zu vermitteln. Und vor allem: Ich darf nicht ungeduldig werden, wenn jemand etwas nicht sofort versteht. Die Person steht eben an einem anderen Punkt als ich. Das ist weder gut noch schlecht – es ist einfach so.

Diese Erkenntnis macht mich in meiner Selbständigkeit besser. Empathischer. Geduldiger. Und letztlich erfolgreicher, weil meine Kunden sich verstanden fühlen.

Der Kontrast, der erdet: Digital und analog Hand in Hand

Die digitale Welt ist und bleibt mein Zuhause. Ich liebe die Möglichkeiten, die Geschwindigkeit, die Reichweite. Ich bin fasziniert von den Tools, die ständig besser werden und neue Wege eröffnen.

Aber diese analoge Welt der Seniorenbetreuung lehrt mich etwas, das keine Software der Welt vermitteln kann: Geduld und Demut.

Die Senioren erzählen mir von einer Zeit, die ich nur aus Büchern kenne. Von Berufen, die es nicht mehr gibt. Von Gewohnheiten, die heute niemand mehr versteht. Von einer Welt ohne Internet, ohne Smartphones, ohne ständige Erreichbarkeit. Diese Geschichten faszinieren mich. Sie zeigen mir, wie schnell sich alles verändert – und gleichzeitig, wie wenig sich die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse ändern.

Die Einsamkeit, die niemand sieht

Gleichzeitig spüre ich ihre Einsamkeit so deutlich. Viele von ihnen leben allein. Die Kinder sind weit weg oder haben keine Zeit. Freunde sind gestorben oder ebenfalls nicht mehr mobil. Diese wenigen Stunden in der Woche ist für manche der einzige soziale Kontakt außerhalb ihrer vier Wände.

Wie dankbar sie sind, rauszukommen. Teil von etwas zu sein. Gesehen zu werden.

Das erdet mich und zeigt mir, wie wertvoll es ist, noch alles machen zu können. An allem teilhaben zu dürfen, was möglich ist. Die Freiheit zu haben, zu entscheiden, wo ich arbeite, wen ich treffe, was ich heute tue.

Was beide Welten verbindet: Echte Begegnung

Ich habe lange gedacht, dass meine digitale Arbeit und die Seniorenbetreuung zwei völlig getrennte Bereiche sind. Aber jetzt wo ich beides mache, erkenne ich:

Beide Welten brauchen am Ende dasselbe: Echte Begegnung.

In der Betreuungsgruppe bedeutet das: Den Menschen wirklich ansehen. Wahrnehmen, wie es ihm geht. Spüren, ob er heute mitmachen kann oder Ruhe braucht.

In meiner Selbständigkeit bedeutet das: Nicht nur Projekte abarbeiten. Nicht nur Aufgaben abhaken. Sondern die Menschen hinter den Anfragen sehen.

Das ist mein Anspruch, digital wie analog. Und genau deshalb passen diese beiden Welten am Ende doch perfekt zusammen.

Fazit: Lernen endet nie – in keinem Alter

Seit ich in der Seniorenbetreuung aktiv bin, hat sich mein Blick auf vieles verändert. Auf das Älterwerden, auf Einsamkeit, auf Geduld. Aber vor allem auf meine eigene Arbeit.

Die wichtigsten Erkenntnisse, die ich mitnehme:

  • Tempo ist nicht alles
    Schnelle Ergebnisse sind gut. Aber nachhaltige Beziehungen entstehen durch Geduld und echtes Verstehen.
  • Jeder Mensch hat sein eigenes Tempo
    In der Seniorenbetreuung wie in der Kundenberatung: Niemand sollte sich hetzen müssen. Gute Begleitung bedeutet, den Rhythmus des Gegenübers zu respektieren.
  • Stille Momente zählen
    Nicht alles, was wirkt, ist laut. Manchmal ist ein leises „Das war schön“ mehr wert als jedes ausführliche Feedback.
  • Einsamkeit ist real
    Sowohl im Alter als auch in der digitalen Welt. Echte Begegnung – ob analog oder digital – ist das, was Menschen wirklich brauchen.
  • Lernen hört nie auf
    Weder mit 30, noch mit 80. Jede neue Erfahrung, jede neue Begegnung lehrt uns etwas. Wenn wir bereit sind, hinzuhören. 

Sie möchten mehr über meine Arbeit erfahren?

Ob digitale Beratung oder persönlicher Austausch – ich freue mich darauf, Sie kennenzulernen. In meiner Arbeit steht der Mensch im Mittelpunkt, nicht die Technik.
Lassen Sie uns gemeinsam herausfinden, wie ich Sie auf Ihrem digitalen Weg begleiten kann – mit Geduld, Verständnis und der richtigen Portion Empathie.

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